„Vor allem in der Landschaftsfotografie würden wir uns mit KI-generierten Bildern der allerschönsten Erlebnisse berauben “ (Bernd Ritschel)
Bernd Ritschel ist seit über 30 Jahren Fotograf. Zu Beginn seiner Laufbahn standen Touren und Expeditionen im Vordergrund. Dann kam die Zeit als Werbefotograf, um sich nun wieder verstärkt der alpinen Fotografie zu widmen. Auch ist er sehr bekannt für seine Arbeiten für “National Geographic”.
Wir wollen uns heute über das Thema KI oder AI als Fluch & Segen für die Fotografie unterhalten. Wann war dein erster Berührungspunkt und auch deine Erfahrung damit?
Bernd Ritschel: Mein erster Berührungspunkt war tatsächlich die neue Entrauschungsfunktion in Photoshop. Im Rahmen der RAW-Konvertierung haben wir natürlich immer bei hohen ISO-Empfindlichkeiten früher auch schon entrauscht. Und dann kam diese neue Entrauschungsdimension über die KI und ich muss sagen – unglaublich. Die Ergebnisse sind einfach perfekt. Das war tatsächlich die erste KI-Berührung in meinem Leben.Die KI hat sich ja innerhalb von sehr kurzer Zeit atemberaubend entwickelt. Bei den ersten KI-generierten Bildern haben wir noch gelächelt – kaum zwei Jahre später ist die Qualität schon sehr gut und man muss mehrfach hinschauen, um überhaupt noch Unterschiede zu erkennen. Daher mehr „Fluch“ oder „Segen“?
Es ist beides. Dazu zwei Beispiele: Es ist ein Segen für eine Ines Thompson in der Porträtfotografie. Die musste früher mit irgendeinem Topmanager von einem großen Konzern nach New York fliegen, um dieses Porträt von diesem Manager mit der Skyline von Manhattan im Hintergrund zu fotografieren. Das war ein ökologischer und ökonomischer Wahnsinn. Heute zaubert sie im Studio die gleiche Lichtsituation mit sehr viel Erfahrung, sehr viel Gespür, macht die Porträts und baut über KI den Hintergrund von Manhattan ein. Genial: Zeit gespart, Geld gespart und der ökologische Fußabdruck – einfach sensationell.Es gibt aber viele Bereiche, da empfinde ich es als Fluch, weil tatsächlich für viele Betrachter nicht mehr klar zu erkennen ist: Was ist Wahrheit? Was ist tatsächlich Realität? Und wenn es nur in der Landschaftsfotografie um Farbe und Licht und Stimmung geht. Oder, noch bizarrer, einen Affen, der auf einem Berggipfel im Karwendelgebirge sitzt. Da bin ich dem Ganzen sehr kritisch gegenüber eingestellt. Und für mich gibt es da nur eine Antwort auf diese Frage: Die heißt Ehrlichkeit und Klarheit.
Welchen Einfluss, denkst du, wird die KI noch auf die Welt der Fotograf:Innen haben?
Die Einflüsse werden weiter zunehmen, sich weiter zuspitzen. Das kann man ganz einfach bei Social Media sehen, ganz gleich ob TikTok oder Instagram. Da hat es eine unfassbare Dimension bei der Einflussnahme angenommen.Man muss nur nach Asien schauen, nach Nepal. Dort herrschte Ausnahmezustand, totales Chaos. Eine Regierung wurde gestürzt. Und in solchen Situationen stehen wir vor genau diesem Dilemma, dass KI-generierte Inhalte – da gehören auch Bilder dazu – unfassbaren Einfluss haben können, ob dort Krieg oder Frieden entsteht.
Rechtlich gesehen bewegt sich die KI teilweise in Grauzonen, um die Datenbasis für die Generierung zu bekommen. Viele JournalistInnen sehen das extrem kritisch, da ihre Inhalte ohne ihr Wissen und ihre Freigabe verwendet werden. Bei Fotografien ist das auch nicht viel anders. Braucht es deiner Meinung nach mehr regulatorischen Einfluss?
Ich glaube, wir kommen nicht drum herum. Ich bin grundsätzlich kein Freund von Verboten und zu vielen Gesetzen. Dazu nochmal das Beispiel aus der Landschaftsfotografie: Wenn es „nur“ um einen Kalender von irgendeinem Fotografen oder irgendeiner Bildagentur geht und sich einzig die Frage stellt, ob die Bergspitzen, die Wälder farblich wirklich so waren oder eben doch KI-generiert, dann sind die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft überschaubar. Wenn dann diese Bilder von dem Kalender nur bei „Familie Huber“ im Wohnzimmer hängen, dann ist es fast egal, ob jetzt der Berg ein bisschen spitzer, steiler, höher ist oder mit mehr oder weniger Vergletscherung gezeigt wird.Aber wir kommen nun einfach in Bereiche, wo das, was ich schon angesprochen hatte, mit KI-generierten Bildinhalten über Krieg und Frieden entscheiden kann. Diese Bilder machen etwas mit den Menschen.
Ich habe leider feststellen müssen, dass alte Werte wie Ethik, Moral und Anstand, um möglichst wahrheitsgemäß zu agieren, zu dokumentieren und zu formulieren, in meinen Augen immer weniger werden. Mein wichtigster Appell ist hier an die Fotografen und Fotografinnen: Wir können diese so wichtigen Werte auch heute noch in unser Leben holen, indem wir einfach sagen: „Lasst uns komplett ehrlich sein mit all unseren Bildinhalten und damit der Bildkonvertierung.“
Genau das wird bei mir demnächst ein ganz wesentlicher Schritt sein. Ich werde auf meiner Website kommunizieren, dass bis auf das Entrauschen alle meine Bilder nicht über irgendeine KI beeinflusst, generiert oder verändert worden sind. Und dass mein wesentlichster Ansatz ist, dass alle Bilder im Rahmen der RAW-Konvertierung der Realität, dem Licht, der Stimmung, so nah wie möglich kommen.
Jetzt hast du die rechtliche Seite angesprochen. Worum geht es den Menschen? Geld zu verdienen ist grundsätzlich immer legitim. Gewinne zu erwirtschaften natürlich auch. Nun sind wir aber in vielen Bereichen in einer Dimension angekommen, die in meinen Augen nicht mehr gesund ist. Und wenn nun mit – ich benenne es jetzt einfach so – „unwahren“ Inhalten mit aller Gewalt, mit aller IT, immer intensiver, schneller, stärker, höher, weiter versucht wird, Geld und Umsätze zu generieren, basierend wie gesagt auf Unwahrheiten, dann bin ich der Meinung, brauchen wir klare rechtliche Rahmenbedingungen.
Wo siehst du die Grenze der Kenntlichmachung von KI generierten Bildern und Bildelementen?
Da spielt natürlich jetzt mit rein, dass ich 61 Jahre alt bin und noch die analoge Fotografie kennengelernt habe und vor allem die Schwarzweiß-Fotografie. Meine erste Assistentenzeit habe ich bei einem wirklich sehr guten Schwarzweiß-Fotografen gemacht. Hier zehre ich bis heute ein Stück weit davon, was diese Dinge betrifft. Da wurde mal abgehalten, abgewedelt, da wurde mal länger belichtet, da kürzer belichtet. Da konnte über das Papier, über die Chemikalien und in den Bädern bei der Entwicklung Einfluss genommen werden. Und das war für mich eine Dimension, die einen künstlerischen und handwerklichen Ansatz hatte. Und trotzdem wäre man damals nicht auf die Idee gekommen, Bildinhalte in der Reportage- oder Kriegsfotografie zu verändern. Wer mit Anstand und Ehrlichkeit unterwegs war, hat das nicht gemacht.Das sind für mich bis heute die Rahmenbedingungen geblieben. Kritisch wird es natürlich, wenn Dinge hinzugefügt oder weggenommen werden, die nicht der Realität entsprechen. Natürlich ist das unfassbar schwer zu kontrollieren. Aber wenn man einmal in die Tierfotografie schaut – ich erinnere mich an ein sehr kritisches Bild mit einer Herde Zebras eines amerikanischen Fotografen. Die Diskussion war schon damals sehr emotional: wo beginnt Manipulation, wo vielleicht sogar kriminelle Manipulation? Und wo endet die Kreativität?
Das ist so ein schwieriger Graubereich, dass wir Ausschüsse oder Kommissionen oder eine wirklich fachliche Kompetenz in einer Mischung aus Jung und Alt brauchen. Es geht nicht darum, die jungen Menschen auf Instagram in dieser völligen Freiheit der Bilderwelten zu verurteilen oder gar auszuschließen – nein im Gegenteil, wir müssen sie mit einbeziehen. All das müssen wir definieren. Das ist nicht einfach, aber irgendwann müssen wir damit anfangen.
Hast du bereits Bildaufträge im Bereich KI?
Gott sei Dank bisher keine, dafür bin ich auch dankbar. Meinen Kunden ist es wichtig, dass wir die Realität zeigen. Ich arbeite sehr viel für “National Geographic”. In diesen Bereichen der Reportage-Fotografie muss man ganz klar reale Bildinhalte zeigen. Wenn ich da KI-generierte Bilder abliefern würde, dann wäre das der letzte Auftrag. Daher bin ich von diesem Thema nicht betroffen.Aber noch ein Punkt ist für mich ganz wichtig: Wir berauben uns ja selber der allerschönsten Erlebnisse! Ein einfaches Beispiel: Man kann natürlich ein atemberaubendes Bild des Bachalpsees in den Berner Alpen – mit diesem legendären Viertausender-Panorama, das sich im See spiegelt – mit der KI erzeugen. Ich kann jedoch auch mehrfach zu diesem See hoch wandern – was an sich schon einfach nur wunderschön ist. Ich kann an seinem Ufer stehen, die Stille, die Landschaft, den Zauber, die Energie und die Faszination Fotografie spüren, bis ich endlich dieses Bild gemacht habe.
Also auf den Punkt gebracht – in meinen Augen berauben sich diejenigen, die zu viel oder sogar alles über die KI machen, ihrer schönsten Erlebnisse. Das ist für mich der Zauber der Fotografie, dort draußen unterwegs zu sein, es ist ein Geschenk!
Wohin wird sich die KI für die Fotografie in den nächsten zwei bis drei Jahren hin entwickeln und unsere Arbeit als FotografIn beeinflussen?
Sie wird bleiben, sie wird immer stärker, immer besser werden. Ich glaube im Tätigkeitsumfeld der Buchverlage wird es Bereiche geben, wo schon bald Bilder, zum Beispiel für einen kostengünstigen Wanderführer, über KI generiert werden. Bei klassischen Wanderführer-Konzepten aus den neunziger Jahren, die sich tatsächlich bei einigen Verlagen immer noch sehr gut verkaufen, kann es gut sein, das Teile oder vielleicht irgendwann alle Bilder von der KI generiert werden.Aber ich weiß aus vielen Gesprächen mit Kollegen, die schon lange im Geschäft sind, die wirklich bis heute jeden Tag aufs Neue ihre Leidenschaft leben, dass diese sich ganz klar positionieren wollen und es sich sogar zum Markenzeichen machen werden, ausschließlich nicht KI-generierte Bilder abzugeben.
Die KI lässt sich nicht aufhalten, und das ist auch in Ordnung. Aber wir tun in aller Klarheit gut daran, uns zu positionieren und nachzudenken, wo wir selbst hin wollen, um dann mit dieser Klarheit unseren Traum der Fotografie weiter zu Leben. Und dann denke ich, passt das auch zusammen.